Bedürftig wie neugeborene Kinder

Auf ein Wort

Pfarrer Björn Knemeyer.Foto: Privat

Pfarrer Björn Knemeyer.
Foto: Privat

Liebe Leserin, lieber Leser, können Sie Latein? Vielleicht hatten Sie das mal in der Schule, damals. Und vielleicht sind nur ein paar kleine Brocken hängen geblieben. Im Alltag ist Latein kaum von Bedeutung. So viel ist klar. Manchmal aber kommt immer mal was Lateinisches vor, am meisten wohl bei medizinischen Fachbegriffen. Oder halt hin und wieder mal bei „Kirchens“. Die Sonntage der Passions- und der Osterzeit haben alle Namen, die aus der lateinischen Sprache stammen. Die Bezeichnungen weichen im evangelischen und im römisch-katholischen Kirchenjahr immer wieder mal voneinander ab.

Nun, am Sonntag, 7. April 2024, heißt der Sonntag Quasimodogeniti. Vielleicht denkt nun die eine oder der andere an die Figur Quasimodo aus Victor Hugos Roman „Der Glöckner von Notre-Dame“. Quasimodo trägt diesen Namen, weil er am Sonntag Quasimodogeniti, dem ersten Sonntag nach Ostern, gefunden wurde. Im römisch-katholischen Kirchenjahr nennt man ihn den Weißen Sonntag. Der Leitvers dieses Sonntags orientiert sich an 1. Petrus 2,2a: „und seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein“ – „sicut modo geniti infantes rationale sine dolo lac concupiscite“.

Liebe Leserin, lieber Leser, was der Autor des 1. Petrusbriefs hier schreibt, ist ein starkes Wort. Dass Gott als Vater – oder Mutter – bezeichnet wird, dass Menschen Gottes Kinder genannt werden, das ist ja im Grunde ziemlich gewöhnlich. Hier geht es aber noch einen Schritt weiter. Nicht bloß Kinder, sondern neugeborene Kinder. Säuglinge, hilflos, klein, unselbständig! Außer schlafen und Milch trinken keine anderen Bedürfnisse. So sollen wir Menschen, wir Christenmenschen sein? Das ist doch unerhört! Da ist noch ein weiteres Grundbedürfnis: geliebt werden. Gottes Liebe, zu den Menschen vor allem durch sein Wort gebracht, ist wie eine Milch, die eben dieses Grundbedürfnis stillt. Ein erwachsener Mensch, vielleicht schon reich an Jahren, soll bedürftig wie ein Säugling sein? Ja! Und es schadet unserem Selbstbild und Selbstverständnis nicht, wenn wir uns das hin und wieder eingestehen.

Björn Knemeyer, Pfarrer in den evangelischen Kirchengemeinden Bad Lippspringe und Delbrück

Der Beitrag ist erschienen in der Reihe „Auf ein Wort“ in der Neuen Westfälischen Paderborn am Freitag, 5. April 2024.