Die Würde des Menschen

Auf ein Wort

Pfarrerin Sabine Sarpe. Foto: EKP

Pfarrerin Sabine Sarpe. Foto: EKP

Mit meinen Konfirmationsgruppen sprechen wir in jedem Jahr über die 10 Gebote. Wenn möglich, sollen sie diese lernen. Sie sollen alle Gebote kennen, aber die Reihenfolge ist mir egal. Bis auf das erste Gebot. Das sollen sie immer sofort benennen können: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Es ist das einzige Gebot, dass mit „Ich“ beginnt – allen anderen geht ein „Du“ voraus. Aus diesem ersten Gebot ergeben sich alle anderen. Wer weiß, dass er oder sie verbunden ist mit Gott, sieht in Gott den Ursprung allen Lebens. Unabhängig davon, ob man biblische Schöpfungsgeschichte wörtlich nehmen oder als eine Deutungsgeschichte verstehen will: Gott ist Ursprung des Lebens und steht in Beziehung zu den Menschen. Im ersten Schöpfungsbericht heißt es: Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Gott schuf unterschiedliche Geschlechter, aber sie spiegeln alle Gott selbst: In jedem Menschen also ein Stück Gott! Egal welche Hautfarbe, welche ethnische Herkunft, politische Auffassung, welches Geschlecht etc. Unsere Menschenwürde ist eine Gotteswürde. In jedem Menschen, dem wir begegnen, können wir Gott begegnen. Es wäre schön, wenn wir uns das nicht entgehen ließen und uns auf die Suche machten.

75 Jahre Grundgesetz feiern wir in diesen Tagen. Sechzig Jahre meines Lebens habe ich mit diesem Grundgesetz gelebt, erlebe es als selbstverständlich. Kann mir gar nicht vorstellen, dass es Zeiten gegeben hat, in der nichts von dem, was dort steht, Konsens war. Im Gegenteil: Eine Mehrheit der Bevölkerung fand es davor völlig normal, dass Menschen nicht die gleichen Rechte zuerkannt werden. Dass Menschen einsortiert und aussortiert werden – je nachdem, welcher Religion sie angehören, welchen ethnischen Hintergrund sie haben, welche sexuelle Orientierung oder Identität sie besitzen oder welche politische Haltung sie einnehmen. Eine demokratisch gewählte Regierung hatte sich das Recht herausgenommen, diese Regeln festzusetzen als die Werte und Normen, die in Deutschland Gültigkeit haben sollten. Auch eine Demokratie ist anfällig dafür, dass sich Gesetze und Wertvorstellungen anders entwickeln als ursprünglich gedacht.

Die Einleitungsformel für das Grundgesetz beginnt mit „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ …, um dann im ersten Artikel  festzustellen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wir wissen, dass es nicht reicht, so einen Satz aufzuschreiben. Trotzdem werden jeden Tag, auch in Deutschland, Menschen in ihrer Würde verletzt, erniedrigt, missbraucht, ungerecht behandelt. Aber sie dürfen es mit diesem Grundsatz vor dem Gesetz einfordern, dass solches Handeln bestraft wird und sie in Zukunft geschützt werden. Und wir dürfen es auch einfordern mit dem ersten der 10 Gebote: Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir! Menschenwürde beginnt mit Gotteswürde!

Pfarrerin Sabine Sarpe, Evangelisch-Lutherische Stephanus-Kirchengemeinde Borchen

Der Beitrag ist erschienen in der Reihe „Auf ein Wort“ in der Neuen Westfälischen Paderborn am Donnerstag, 30. Mai 2024.