Sehen und gesehen werden
Mittendrin
„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist …“ Mit diesem beliebten Spiel haben wir unsere Kinder bei längeren Autofahrten gerne bei Laune gehalten. Hinter diesem Spiel steckt eine tiefere Weisheit. Manchmal sehen wir an einem Menschen etwas, das er selbst gar nicht sieht: eine besondere Fähigkeit, eine drohende Gefahr, eine unentdeckte Leistung. Wir möchten selbst gern so gesehen werden, wie wir sind oder sein möchten. Doch Selbstbild und Fremdbild stimmen nicht immer überein. Manche unternehmen große Anstrengungen, in den „sozialen Medien“ ein bestimmtes „Image“ zu erhalten. Einige stehen im Rampenlicht, andere, „die im Dunklen, sieht man nicht“ (Bert Brecht). Darum ist es wichtig und gut, genau hinzusehen, auf die Menschen zu achten, die in Not sind, die Unterdrückung, Krieg und Verfolgung erleiden.
Sehen und gesehen werden, das gehört zu den Grundbedingungen unseres Lebens. Die biblische Losung für das neue Jahr ist eine Ermutigung: „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (1. Mose 16, V. 13). Ausgesprochen von Hagar, der Magd von Sara, nachdem sie von Abraham ein Kind erwartete, mit ausdrücklicher Genehmigung Saras. Auf der Flucht vor unliebsamen Folgen ihrer Schwangerschaft begegnet sie an einer Wasserquelle dem Engel Gottes. Daraufhin nennt sie Gott den „El-Roi“, den „Gott, der mich sieht“. Das Bekenntnis Hagars ist zugleich auch ein Trost: Gott sieht mich, auch wenn andere mich nicht sehen. Gott sieht mich in meinen Ängsten und Nöten, aber auch in meiner Freude und in meiner Hoffnung. Er traut mir etwas zu. Er macht mir Mut. Er stärkt mir den Rücken. Möge es uns in diesem Jahr gelingen, dass wir andere Menschen mit ihren Bedürfnissen sehen und dabei selbst von Gott liebevoll angesehen werden.
Pfarrer Dr. Eckhard Düker, Abdinghof-Pfarrbezirk der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Paderborn
Der Beitrag ist erschienen im Westfälischen Volksblatt Paderborn am Samstag, 14. Januar 2023.