Wer Schuld bekennt, kann wieder hoffen
Auf ein Wort
Liebe unbekannte Mutter, es tut mir Leid und ich bitte Sie und Ihr Kind um Entschuldigung! Vielleicht können Sie sich nicht mehr daran erinnern. Es ist schon 33 Jahre her, da fuhr ich mit meiner weinrot-schwarzen Ente in Bielefeld hinter einer Straßenbahn her. Und als sie hielt, fuhr ich einfach rechts an ihr vorbei, ohne mir was zu denken. Ich hatte den Führerschein erst ein halbes Jahr. So hätte ich um ein Haar einen Kinderwagen überfahren. Die Mutter, die ihn schob, konnte noch so grade den Wagen zurückziehen. Der Schreck saß mir tief in den Gliedern! Wie schnell aus einer Unaufmerksamkeit ein Verbrechen werden kann.
Wieso mir das jetzt einfällt? Ich fuhr neulich an der Stelle vorbei und alles fiel mir wieder ein. Der verschreckte Blick der Mutter, das Klingeln der Straßenbahn, die heiße Röte in meinem Gesicht. Noch heute empfinde ich Schmerzen bei dem Gedanken an die Szene, die so schnell hätte tragisch enden können. Ja, es tut mir Leid, ganz wörtlich!
Ob die Unbekannte meine Entschuldigung annehmen kann? Ich hoffe es, mehr als hoffen kann ich ja nicht. Ich habe keinen Anspruch darauf. Und trotzdem tut es gut, von diesem Beinaheunfall zu erzählen und die Bitte um Entschuldigung auszusprechen. Es nimmt mir die Last – es entlastet mich. Wer Schuld bekennt, kann wieder hoffen.
Über 30 Jahre habe ich nun dafür gebraucht. Warum fällt es uns so schwer, uns für die kleinen und großen Fehler und Unachtsamkeiten zu entschuldigen? Sogar in der Kirche? Liegt es daran, dass wir so gerne mehr wären als wir sind. Dass wir darum den äußeren Schein wahren wollen, damit keiner sieht, wer wir wirklich sind? Weil wir heiliger sein wollen als wir wirklich sind, darum sind Mitarbeiter der Kirche vielleicht sogar besonders anfällig dafür, Schuld und Schuldverstrickung zu verleugnen, vor anderen und vielleicht sogar vor uns selbst.
Aber vor Gott geht das natürlich nicht. Warum versuchen wir es also? Ist sein Urteil nicht viel wichtiger? Ehrlicher, radikaler? Und von ihm wissen wir, dass er uns unsere Schuld vergibt, wenn wir sie offen und ehrlich bekennen. Daher sollen wir sie nicht nur im stillen Kämmerlein der Beichte bekennen, sondern in aller Öffentlichkeit. Dann erfahren wir auch die Gnade, die Kraft gibt, zur Schuld zu stehen, daraus zu lernen und anderen wiederum ihre Schuld zu vergeben – „wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ (Kol 3,13) hat es der Apostel Paulus formuliert. Die Frage ist also, ob wir wirklich an diesen gnädigen Gott glauben, der uns in Jesus Christus begegnet? Ich wünsche es uns allen. Er tut gut!
Thomas Walter, Pfarrer des Matthäus-Pfarrbezirks der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Paderborn
Der Beitrag ist erschienen in der Neuen Westfälischen Paderborn am Freitag, 11. Februar 2022.