Wie Kirchengemeinden die Corona-Zeiten erleben und worauf sie hoffen
„Kirche für andere und mit anderen neu ins Gespräch bringen“
Kreis Höxter/Kreis Paderborn (ekp/wels). 14 Kirchengemeinden mit 77.000 Christinnen und Christen gehören zum Evangelischen Kirchenkreis Paderborn in den Kreisen Höxter und Paderborn. Jede hat die durch Corona bedingten Kontaktsperren erlebt und ist herausgefordert, mit den Folgen fehlender direkter Begegnung umzugehen. Trotz der gravierenden Auswirkungen auf das gewohnte Gemeindeleben wurden kreative Kräfte freigesetzt und spannende Alternativen entwickelt. „Ich bin dankbar und voller Anerkennung für den Einfallsreichtum und die Durchhaltekraft in den Kirchengemeinden. Durch das gemeinsame Tun der Ehren- und Hauptamtlichen sind Veränderungen der bisherigen gemeindlichen Arbeit auf den Weg gebracht worden, deren Nachhaltigkeit weiterhin in den Blick genommen werden muss“, so der Superintendent des Kirchenkreises Paderborn, Volker Neuhoff.
Zwei Gemeindepfarrerinnen und zwei Gemeindepfarrer geben am Beispiel der evangelischen Kirchengemeinden Hövelhof und Paderborn sowie der Kirchengemeinden Emmer-Nethe und Altkreis Warburg Auskunft über ihre Erfahrungen und Hoffnungen in der Corona-Zeit:
Als „langen Weg durch die Wüste“ beschreibt der Hövelhofer Pfarrer Ulrich Richter die Corona-Zeiten in seiner Gemeinde. Es sei wie ein „Dornröschenschlaf, das Einzige, was noch wächst, ist die Hecke, hinter der langsam die Kirche verschwindet“, so sein zweites starkes Bild. Um eine größere Gruppe von Gemeindegliedern zu erreichen, hat Richter zu Ostern 2020 rund 300 Karten an Familien und Einzelpersonen in der Gemeinde geschrieben – handschriftlich, persönlich. Eine Sehnenscheidenentzündung war die Folge.
Zu Weihnachten 2020 war die Organisation dann optimiert und es wurden gedruckte Karten mit Gruß verschickt. In diesem Jahr gab es zu Ostern dann eine Beilage im Monatsblatt des Verkehrsvereins, „Hövelhofer Rundschau“, mit Ostergruß und einer Hausandacht für Karfreitag und Ostern. „Die menschliche Nähe leidet im Raum der Kirche“, bedauert der Gemeindepfarrer. Als erfreulich hat er dagegen die zunehmenden digitalen Möglichkeiten der Kommunikation empfunden. „Alltägliche Erfahrungen von Gemeinde werden über das Internet vermittelt bleiben“, so seine Einschätzung. Dann bringt Ulrich Richter seine Vorfreude zum Ausdruck: „Nach dem Aufwachen aus dem Dornröschenschlaf wird alles bewusster und wertvoller, was vorher selbstverständlich war.“
Daniela Walter, Gemeindepfarrerin im Paderborner Johannes-Bezirk, hat in der Pandemie ein Abnehmen der großen Sinnfragen festgestellt: „Ich erlebe mein Gegenüber als zunehmend müder, besonders die Jugendlichen.“ Durch alle Generationen ziehe sich das Thema der unfreiwilligen Einsamkeit, das bedrängender werde. Für andere seien persönliche wirtschaftliche Probleme entstanden, verbunden mit großen Nöten. Der Pfarrerin fehlen „die kleinen Gespräche ‚zwischen Tür und Angel‘, aus denen deutlich wird“, ob Menschen ihre Hilfe brauchen. „Kein Kontakt ohne Verabredung“, das sei kräftezehrend. Kontakt gehalten hat Daniela Walter über das Internet, per Telefon oder Post.
Darüber hinaus gab es die Aktion „Gute Gedanken“: ein vor dem Johanneszentrum aufgebauter Tisch mit „Vielerlei zum Mitnehmen und Weitergeben“. Das Jugendzentrum im Johannes-Zentrum brachte sich mit Mitmachaktionen und einer Tauschbörse ein. Bei allem möchte die Kirchengemeinde den Menschen auf der Suche vermitteln: „Du bist nicht allein! Es ist hier noch nicht zu ende“, so Daniela Walter. Den durch Corona abrupten Stopp sieht sie „als große Chance für eine Neuorientierung“: „Angebote an Gottesdiensten und Gemeindeleben können so wieder entstehen, wie es den Menschen gut tut“, glaubt sie und möchte gemeinsam mit denen, die sich einbringen, und denen, die es in Anspruch nehmen, gute Angebote entwickeln und umsetzen.“ Beeindruckt zeigt sich die Gemeindepfarrerin von dem Engagement zahlreicher Ehrenamtlicher in ganz Paderborn und hofft, „dass wir weiterhin gemeinsam in und neben offiziellen Strukturen für die Menschen da sein werden.“
Volker Walle aus Brakel ist Gemeindepfarrer in der Christus Kirchengemeinde Emmer-Nethe. Er stellt insbesondere für manche ältere Gemeindemitglieder fest: „Die persönliche Begegnung fehlt vielen.“ Das Fehlen regelmäßiger Treffen von Gruppen und Kreisen im Gemeindehaus, das Ruhen des Kindergottesdienstes und den überwiegend digitalen Kontakt zu den Konfirmanden empfindet er auch persönlich als belastend. Walle fühlt sich in seinem Selbstverständnis als Seelsorger und Pastor getroffen. „Die in der Pandemie gebotenen Kontakteinschränkungen lähmen die gemeindliche Arbeit auf allen Ebenen“, so der Pfarrer. Dennoch: aus dem Nichts wurden im Frühjahr 2020 digitale Angebote entwickelt und ein Youtube-Kanal eingerichtet mit wöchentlichen Andachten. Intensiv genutzt wurde im Sommer 2020 das Angebot von Gottesdiensten im Freien. „Im Mai 2021 haben wir damit wieder gestartet“, teilt Walle mit.
Gottesdienste für zuhause auf vier Din A5-Seiten sind seit Jahresbeginn hinzugekommen. Und Mitte Januar starteten auch die Gottesdienste über ZOOM. „Das Angebot über dieses Medium erreicht nicht alle Menschen, die zu präsentischen Gottesdiensten gekommen wären, aber dafür kommen manche neue dazu“, berichtet Volker Walle. Obwohl Präsenz-Gottesdienste inzwischen wieder gefeiert werden, das Angebot der digitalen Teilnahme bleibt erhalten und wird genutzt. Für die Gremienarbeit sieht Walle in den Videokonferenzen zukünftig einen Vorteil angesichts der flächenmäßig ausgedehnten Emmer-Nethe Gemeinde. Sie erspare lange Fahrzeiten. „Vor den Gemeinden liegt viel Arbeit“, so die Einschätzung des Pfarrers, „vor allem eine neue Beziehungsarbeit, in der wir nach den Erfahrungen der Corona-Zeit neue Wege gehen müssen.“
„Ich habe mehr denn je gespürt, wie sehr ich an meinem Beruf die Nähe zu Menschen genieße, leibhaftige Begegnungen brauche“, teilt Patrizia Müller, Pfarrerin in der Kirchengemeinde Altkreis Warburg, ihre Erfahrung in der Corona-Zeit mit. Seelsorge am Telefon – ohne Mimik und Gestik – sei schwerer als im direkten Gespräch. Ihre schmerzhafteste Erinnerung hängt mit einer der ersten „Corona-Beerdigungen“ im Frühjahr 2020 zusammen. Nach dem Abschiednehmen am Grab sagte eine Angehörige zu ihr: „Es tut so weh, dass wir uns nicht umarmen können.“ Das macht die Gemeindepfarrerin bis heute betroffen. „Wir haben alle gemerkt, wie brüchig doch unser Leben ist – und dass sich Leben von einem Tag auf den anderen umkrempeln kann, dass Selbstverständliches nicht mehr selbstverständlich ist“, so Patrizia Müller. „Gleichzeitig haben wir uns in der Gemeinde viel mehr in Kreativität und Flexibilität geübt“, stellt sie fest. Besonders ältere und internetskeptische Menschen seien über sich hinausgewachsen. Sie könnten jetzt mühelos zum Beispiel mit ZOOM-Konferenzen umgehen. „Neue Formate wurden entwickelt, um miteinander in Kontakt zu bleiben, und dankbar angenommen“, berichtet die Pfarrerin: ZOOM-Gottesdienste und andere Online-Formate, Andachtstüten- und -karten zum Mitnehmen. „Wir üben uns mehr und mehr darin, Plan Bs zu entwickeln – möglicherweise auch wieder über Bord zu werfen – und Plan Cs anzudenken. Und das wird sich vermutlich auch über die Pandemiezeit fortsetzen – um Kirche für andere und mit anderen neu ins Gespräch zu bringen“, macht Patrizia Müller Hoffnung.